9. Bindungsangst und Trennung: Was in einem Bindungsängstler vorgeht

Bindungsangst und Trennung

Trennungen sind für niemanden leicht, doch für Menschen mit Bindungsangst verlaufen sie oft besonders widersprüchlich und emotional herausfordernd. Obwohl sie Nähe fürchten,
kann das Ende einer Beziehung tiefgehende Unsicherheiten, Ängste und innere Konflikte auslösen. Während der Bindungsängstler in der Beziehung oft das Bedürfnis verspürt, sich zu distanzieren, kann nach der Trennung ein starkes Gefühl der Leere eintreten. Dies führt zu einem emotionalen Auf und Ab, das für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist.

In diesem Artikel gehen wir detailliert darauf ein, was in einem Bindungsängstler vor, während und nach einer Trennung passiert. Wir beleuchten die inneren Gedanken und Emotionen,
die ihn durch diese Phasen begleiten, und erklären, wie sie den Trennungsschmerz verarbeiten – oder auch nicht.

Phase 1: Vor der Trennung – Der innere Konflikt zwischen Nähe und Distanz

Emotionen und Gedanken

Menschen mit Bindungsangst befinden sich oft in einem ständigen Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Angst davor, sich in einer Beziehung zu verlieren.
Dieser innere Konflikt kann dazu führen, dass sie sich immer wieder emotional zurückziehen, Unsicherheiten entwickeln oder unbewusst Streit provozieren, um Distanz zu schaffen.

Häufige Gedanken und Emotionen vor einer Trennung:

  • „Diese Beziehung engt mich ein.“ – Ein wachsendes Gefühl der Beklemmung, auch wenn der Partner liebevoll und rücksichtsvoll ist.

  • „Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Person wirklich liebe.“ – Zweifel an den eigenen Gefühlen, die oft durch innere Ängste und nicht durch tatsächliche Unzufriedenheit entstehen.

  • „Ich will mich nicht verlieren.“ – Die Angst, sich durch die Partnerschaft selbst aufzugeben, löst das Bedürfnis aus, sich abzugrenzen.

  • „Wenn ich mich jetzt trenne, erspare ich mir späteren Schmerz.“ – Vorwegnahme einer vermeintlich unvermeidbaren Enttäuschung.

  • „Warum fühle ich mich nicht so, wie ich es sollte?“ – Selbstzweifel und das Gefühl, dass mit den eigenen Emotionen etwas „nicht stimmt“.

Verhaltenstendenzen

  • Emotionale Distanzierung: Der Bindungsängstler beginnt, sich innerlich zurückzuziehen, weniger Initiative zu zeigen und die Nähe des Partners zu vermeiden.

  • Vermehrte Kritik: Oft wird der Partner plötzlich als „nicht passend“ empfunden, und vermeintlich kleine Makel werden überbetont.

  • Suche nach Ablenkung: Arbeit, Hobbys oder soziale Aktivitäten nehmen einen immer größeren Stellenwert ein, um sich nicht mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.

  • Ambivalentes Verhalten: Mal sucht der Bindungsängstler Nähe, dann zieht er sich wieder zurück – was für den Partner sehr verwirrend sein kann.

Phase 2: Während der Trennung – Der scheinbare emotionale Abstand

Emotionen und Gedanken

Wenn die Trennung schließlich ausgesprochen wird, scheint der Bindungsängstler oft gefasst, manchmal sogar erleichtert. Es kann den Anschein haben, als würde ihn die Trennung nicht sonderlich belasten. Doch dieser Eindruck täuscht oft, denn viele emotionale Reaktionen werden unbewusst verdrängt.

Häufige Gedanken und Emotionen während der Trennung:

  • „Das war die richtige Entscheidung.“ – Rationalisierung der Trennung, um Emotionen zu vermeiden.

  • „Ich fühle nichts – also war es wohl nicht die große Liebe.“ – Eine emotionale Blockade, die verhindert, sich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen.

  • „Jetzt kann ich mich endlich auf mich selbst konzentrieren.“ – Flucht in Ablenkung, um nicht über die Trennung nachdenken zu müssen.

  • „Es ist besser so.“ – Eine innere Überzeugung, die helfen soll, die Unsicherheit zu unterdrücken.

Verhaltenstendenzen

  • Kühle und Distanziertheit: Der Bindungsängstler zeigt wenig Emotionen, spricht über die Trennung oft sachlich oder gleichgültig.

  • Ablenkung: Er lenkt sich mit Arbeit, Sport oder neuen Projekten ab, um die Trennung nicht zu reflektieren.

  • Flucht in Oberflächlichkeit: Neue, unverbindliche Kontakte oder Dating-Apps werden genutzt, um sich nicht emotional auseinandersetzen zu müssen.

Phase 3: Nach der Trennung – Der verzögerte Schmerz und die innere Leere

Emotionen und Gedanken

Nach einer ersten Phase der Ablenkung kann der verdrängte Schmerz plötzlich auftauchen – oft erst Wochen oder Monate später. Dies passiert häufig,
wenn der Bindungsängstler mit sich allein ist oder wenn der Ex-Partner weitergezogen ist.

Häufige Gedanken und Emotionen nach der Trennung:

  • „Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht.“ – Plötzliche Zweifel an der Entscheidung.

  • „Ich vermisse die guten Momente.“ – Idealisierung der Beziehung, während die negativen Aspekte verdrängt werden.

  • „Warum fühle ich mich jetzt so leer?“ – Das emotionale Vermeidungsverhalten kann langfristig zu innerer Einsamkeit führen.

  • „Ich will mich wieder verlieben, aber es fühlt sich nicht richtig an.“ – Schwierigkeiten, sich erneut auf eine tiefere Verbindung einzulassen.

Verhaltenstendenzen

  • Emotionale Verdrängung: Anstatt sich dem Trennungsschmerz zu stellen, werden neue Ablenkungen gesucht.

  • Idealisierung des Ex-Partners: Plötzlich erscheint die vergangene Beziehung wertvoller als gedacht.

  • Wiederannäherung an den Ex: Manche Bindungsängstler versuchen, die Trennung rückgängig zu machen – meist nur, um sich später erneut zu distanzieren.

Wie Bindungsängstler eine Trennung gesund verarbeiten können

  • Bewusst Emotionen zulassen: Anstatt Gefühle zu verdrängen, sollte man lernen, sie anzunehmen.

  • Eigene Bindungsmuster hinterfragen: Welche Ängste stehen hinter dem Vermeidungsverhalten?

  • Keinen Kontakt zum Ex suchen, um Unsicherheiten zu lindern.

  • Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Ein Therapeut oder Coach kann helfen, tief verwurzelte Ängste zu erkennen.

Fazit

Die Trennung von einem Bindungsängstler verläuft oft widersprüchlich. Während er sich in der Beziehung eingeengt fühlte, kann nach der Trennung ein starkes Gefühl der Leere eintreten.
Das Unterdrücken von Emotionen führt dazu, dass die Trennungsverarbeitung oft verzögert stattfindet. Doch wer sich bewusst mit seinen Bindungsmustern auseinandersetzt, kann langfristig gesündere Beziehungen führen und die eigene emotionale Reife stärken.

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